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Dr. Thomas-Gabriel Rüdiger
Chancen
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Wenn man sich diese Frage anschaut, muss man eigentlich hinterfragen wie Kriminalprävention vor allem aus Sicht der Sicherheitsbehörden läuft. Und da gibt es einen entscheidenden Faktor, den wir eigentlich im digitalen Raum so gut wie gar nicht diskutieren. Und jeder der dieses Video schaut, der wird vielleicht schon mal die Polizei oder wird sicherlich die Polizei im physischen Raum gesehen haben. Stellen Sie sich mal eine Welt vor, einen Straßenverkehr, wo Sie nie zufällig auf eine Polizeistreife treffen oder irgendwie mal die Polizei sehen. Diese Situation haben Sie in Ansätzen im Netz. Das bedeutet, dass diese präventive Funktion des Rechtsstaats, der sagt: „Guck mal hier unsere Regeln gelten, wir haben unsere Polizisten draußen, wenn Dir etwas passiert, kannst du sie ansprechen“. Oder auch ein Täter, der weiß hier gibt es die Polizei, hier muss man aufpassen. Diese präventive Funktion, die haben wir im Netz noch nicht. Oder haben Sie schon mal zufällig eine Art virtuelle Polizeistreife gesehen? Die Frage was das bedeutet, die diskutieren wir noch gar nicht hinreichend. Und darüber müssen wir aber reden, weil sie nämlich dazu führen kann, dass wir im Netz dieses Gefühl der Unrechtskulturen, der Rechtsfreiheit haben, die eine massive Auswirkung auf alle Themen hat. Warum? Es gibt kriminologische Studien die sagen, dass man dann handelt, auch als Täter, wenn man geringe Risiken erwartet, wenn man motiviert ist zum Handeln, wenn es ein lohnendes Ziel gibt. Geringe Risiken, die entstehen zum Beispiel dadurch, dass man nie die Polizei sieht, dass die Strafverfolgungswahrscheinlichkeit gering ist. Prävention im Netz sollte sich, wenn man ehrlich ist, deswegen auch so verstehen, dass wir die präventiven Konzepte, die wir aus dem physischen Raum kennen, übertragen in den digitalen Raum. Und da ist die Polizei gegenwärtig etwas, das noch viel zu wenig diskutiert wird was die Sichtbarkeit der Polizeipräsenz für einen präventiven Charakter hat. Und niemand würde daran zweifeln, dass wir eine uniformierte Polizei irgendwie im Straßenverkehr brauchen oder als Ansprechpartner. Im Netz gibt es diese Diskussion nur ganz am Anfang und ich glaube, dass das ein Aspekt ist, der sicherlich ungewöhnlich ist, aber über den man tatsächlich diskutieren muss.
Ich sehe eigentlich zwei große Herausforderungen: die Erste ist, dass wir uns ernsthaft hinsetzen müssen und überlegen müssen, wie Kinder auch geschützt Teilhabe haben können in einem digitalen Raum der global ausgerichtet ist, der keine physischen Grenzen kennt, wo Menschen auf der ganzen Welt mit Kindern auch interagieren und dadurch natürlich auch Kriminalität entsteht. Wie man das findet und das braucht eine ernsthafte integrative Strategie, die über Medienkompetenz hinausgeht, auch Aspekte wie Sicherheitsbehörden berücksichtigt, Polizeiarbeit im Netz, Verantwortung von Betreibern. Diese Grundsatzstrategie, das sehe ich noch nicht. Das ist für mich eine Aufgabe. Und die Zweite, das liegt natürlich auch an der Profession, dass wir tatsächlich sagen müssen, dass im Netz die Wahrscheinlichkeit einer Anzeige für Täter so gering ist, dass die das Gefühl der Rechtsfreiheit im Netz nährt und Kinder in einen Raum hinein gelassen werden, wo viele Personen das Gefühl haben, hier gelten keine Regeln. Die DIVSI U25-Studie spricht zum Beispiel von einer Beleidigungskultur im Netz, wo viele Jugendliche von 14 bis 24 Jahren sagen, dass sie Angst haben was zu posten, oder dass man damit rechnen muss beleidigt und mit Hass konfrontiert zu werden.
Ich glaube also, dass man diskutieren muss: Wie kann man diese Anzeigewahrscheinlichkeit, die Sichtbarkeit des Rechtsstaats im Netz erhöhen? Und da kommt ein Punkt hinzu, der mir ganz wichtig ist. Das bedeutet folgendes: im Netz haben wir die Situation, dass Kriminalität für alle sichtbar ist. Jeder der eine Phishing-Mail bekommt, kann ein versuchtes Betrugsdelikt sein. Tagtäglich erleben sie so was. Das kennen wir aus dem physischen Raum nicht. Sie sehen Beleidigungen unter irgendwelchen YouTube Kommentaren stehen, was sie eigentlich sonst so nicht erleben. Wenn man draußen unterwegs ist, weiß man nicht, was hier alles passiert ist. Im Netz siehst Du das alles. Diese sogenannten sichtbaren Normüberschreitungen im Netz führen zu einer Senkung der Hemmschwelle von allen Leuten, die da drin aufwachsen.
Dr. Thomas-Gabriel Rüdiger
- Seit 2013 Promovend zum Dr. jur. in einem intradisziplinären Promotionsvorhaben an der juristischen Fakultät (Herr Prof. Dr. Mitsch) in Kooperation mit dem Institut für Informatik (Frau Prof. Dr. Lucke) der Universität Potsdam, Promotionsthema „Die onlinebasierte Anbahnung des sexuellen Missbrauchs eines Kindes – Eine kriminologische und juristische Auseinandersetzung mit dem Phänomen Cybergrooming“
- Seit 2012 Kriminologe und Lehrbeauftragter am Institut für Polizeiwissenschaft der Fachhochschule der Polizei des Landes Brandenburg, Forschungsschwerpunkte Cybercrime, Interaktionsrisiken Sozialer Medien sowie polizeilicher Umgang mit Sozialen Medien.
- 2008 – 2010 Studium der Kriminologie im weiterbildenden Masterstudiengang an der Universität Hamburg, Masterarbeit mit dem Titel „Gamecrime und Metacrime – strafrechtlich relevante Handlungen im Zusammenhang mit virtuellen Welten“, Abschluss zum Master of Arts
- 2006 – 2012 Beamter im Ministerium des Innern des Landes Brandenburg, Bereich Internationale polizeiliche Zusammenarbeit
- 2003 – 2006 Studium des Polizeivollzugsdienstes an der Fachhochschule der Polizei des Landes Brandenburg, vorgelegte Diplomarbeit zum Thema „Aufbau und Aufgabe der deutschen Polizei, vornehmlich der Kriminalpolizei, in den besetzten Gebieten 1939 – 1945“, Abschluss zum Diplomverwaltungswirt-Polizei (FH)
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